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Gesundheits-Apps: Alltag für Patient:innen – Aber nicht in der Gesundheitsversorgung?

Gesundheits-Apps stehen Patient:innen mittlerweile zahlreich und bequem zur Verfügung. Ärzt:innen, auch Hausärzt:innen, spielen dabei bisher aber nur eine untergeordnete Rolle. Eine Online-Befragung von über eintausend Erwachsenen in Deutschland bietet erste Erklärungsansätze dafür.

Bild: © AnnJane – stock.adobe.com, 470304764, Stand.-Liz.

Schätzungen nach gibt es mehr als 100 000 Gesundheits-Apps. Smartphone-Besitzer:innen steht dementsprechend ein riesiges Angebot zur Verfügung – jederzeit, an jedem Ort und oft auch kostenlos. Einer ärztlichen oder anderweitigen Beratung bedarf es vor dem Download oder der Nutzung nicht: Warum auch? Viele der Gesundheits-Apps sind keine Medizinprodukte. Sie übernehmen überwiegend auch keine Aufgaben, die alleine bestimmten Heilberufen vorbehalten sind, wie etwa Diagnose oder Therapie. Vielmehr könnte ein Großteil dieser Apps auch als Lifestyle- oder Fitness-Apps bezeichnet werden, die zur gesünderen Lebensweise oder (scheinbar) gesundheitsbewussteren Lebensführung beitragen. Auch die im Dezember 2019 in Deutschland eingeführten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) bieten Patient:innen hohe Autonomie: Wer nachweisen kann, eine bestimmte Diagnose zu haben, kann den Zugang zur entsprechenden DiGA einfach über seine Krankenkasse bekommen.


Die Verbraucher:innen/Patient:innen besitzen in puncto Gesundheits-Apps also eine größere Eigenständigkeit, als dies bspw. bei Arzneimitteln der Fall ist. Zwar sind auch viele Arzneimittel frei verkäuflich – aber apothekenpflichtig. Wenn man ausklammert, ob es aus Sicht der medizinischen Evidenz zielführend (Effektivität) oder notwendig (Sicherheit) wäre, dass Verbraucher:innen/Patient:innen mit ihren behandelnden Ärzt:innen über Gesundheits-Apps sprechen, stellt sich dennoch folgende Frage: Wie stehen die Patient:innen/Verbraucher:innen überhaupt selbst dazu?


Wir haben dazu eine Online-Umfrage unter etwa eintausend Erwachsenen in Deutschland gemacht, ob Verbraucher:innen/Patient:innen auch bei Apps „zu Risiken und Nebenwirkungen ihren Arzt oder Apotheker“ fragen würden.


Ergebnisse (1): Gesundheits-Apps allgemein
Von den Befragten berichtete knapp die Hälfte (48 %, 517/1048), jemals eine Gesundheits-App verwendet zu haben. Sowohl unter App-Nutzer:innen als auch Nichtnutzer:innen gab nur jeweils eine kleine Minderheit an, jemals mit einer Behandlerin bzw. einem Behandler (egal ob Hausärzt:in, Psychotherapeut:in, Physiotherapeut:in etc.) über die Benutzung von Gesundheits-Apps gesprochen zu haben. Unter den App-Nutzer:innen haben 16 % (84/517), bei den Nichtnutzer:innen unter 4 % (21/567) jemals mit einem Behandler bzw. einer Behandlerin darüber gesprochen. Es waren vor allem Ärzt:innen – allen voran Hausärzt:innen – und in geringerem Maße Psychotherapeut:innen und Physiotherapeut:innen, mit denen die Verbraucher:innen/Patient:innen sprachen. 90 % unserer Befragten gaben an, einen festen Hausarzt bzw. Hausärztin zu haben. Entsprechend scheint der Mangel an Ansprechpartner:innen nicht der Grund dafür zu sein, dass Apps nur selten Gesprächsthema zwischen Patient:innen und Ärzt:innen sind.


Unsere Befragung liefert erste Hinweise darauf, woran es liegen könnte. Nur 4 von 10 Studienteilnehmer:innen (40,4 %, 438/1084) erwarten, dass ein Hausarzt oder eine Hausärztin überhaupt zu Gesundheits-Apps beraten könnte. Auch unter den Gesundheits-App-Nutzer:innen sind es nur etwa die Hälfte (48,9 %, 253/517). Lohnt es sich etwa aus Sicht der Patient:innen/Verbraucher:innen nicht, mit einem oder einer Behandelnden über Gesundheits-Apps zu sprechen? So gaben zwar 71,2 % (565/793) der App-Nutzenden, die einen festen Hausarzt bzw. Hausärztin haben, an, diese:n für ausreichend kompetent im Bereich der Gesundheits-Apps zu halten. Jedoch schätzte nur knapp eine:r von 17 (5,9 %, 47/793) diese Kompetenz als sehr gut ein. Auch die App-Nutzer:innen, die sich zu Gesundheits-Apps von heilberuflich Tätigen beraten lassen haben (n=84), bewerten diese Beratung(en) eher mittelmäßig mit 65,5 Punkten (Skala: von 0 (überhaupt nicht hilfreich) bis 100 (sehr hilfreich); mit 50 = weder noch). Mehr als ein Viertel (28,5 %, 24/84) bewerten die Beratung(en) als nicht hilfreich (d.h. unter oder gleich 50 Punkten).


Ergebnisse (2): DiGA
Das heißt jedoch nicht, dass alle Verbraucher:innen/Patient:innen Behandelnden grundsätzlich nur eine untergeordnete Rolle zuschreiben, wenn es um Gesundheits-Apps geht: Spezifisch auf DiGA angesprochen, spricht sich eine Mehrheit (54,1 %, 586/1084) dagegen aus, dass DiGA erstattet werden, wenn diese nicht von Behandelnden verordnet wurden. Den meisten Teilnehmer:innen unserer Umfrage mussten wir jedoch zunächst erklären, was DiGA sind: Nur 22,4 % (243/1084) gaben an, dass ihnen die verschreibungsfähigen und erstattungsfähigen Apps auf Rezept bekannt waren. Auch unter Patient:innen, die angegeben hatten, an einer Krankheit zu leiden, die eine Indikation für eine zum Zeitpunkt der Befragung im Verzeichnis gelistete ­DiGA darstellte (im Weiteren „DiGA-Diagnose“), hatten nur ein geringfügig höherer Anteil (25,3 %, 160/632) von DiGA vorher gehört. Im Vergleich dazu war die elektronische Patientenakte (ePA), die etwa ein Jahr später als die DiGA an den Start ging (Januar 2021), bereits 51 % ein Begriff.


Die verhältnismäßig geringe Bekanntheit der DiGA ist diskrepant zur Aufgeschlossenheit, die unsere Befragten dafür zeigten, solche Apps auszuprobieren. Fast drei Viertel aller Befragten (72,7 %, 788/1084) halten DiGA für eine sinnvolle Ergänzung zu den Standardleistungen im Gesundheitswesen (25,7 % stimmen dem „voll und ganz“ zu, 47 % stimmen dem „eher“ zu). Knapp ein Viertel (22,6 %, 143/632) derer mit DiGA-Diagnose gaben an, dass sie „sehr wahrscheinlich“ eine DiGA ausprobieren wollen, ein weiteres Drittel (35,1 %, 222/632) schätzt das als „eher wahrscheinlich“ ein. Ob sich die DiGA dabei noch in der Probephase befindet, spielt eine gewisse Rolle: Etwa jede:r Siebte (14,5 %, 53/365) mit DiGA-Diagnose, der oder die (sehr) wahrscheinlich eine DiGA ausprobieren würde, wäre nicht bereit, eine DiGA in der Probephase zu nutzen. Eine Zweidrittelmehrheit aller Befragten (66,3%, 719/1084) würde begrüßen, wenn es DiGA auch für präventive Zwecke gäbe.


DiGA-Kenner:innen gaben am häufigsten an, aus Online- (51,0 %, 124/243) oder anderen Massenmedien wie Radio und Zeitungen (42 %, 100/243) von DiGA erfahren zu haben (mehrere Angaben möglich). Nur 14,8 % (36/243) berichteten, (auch) von Behandelnden von DiGA erfahren zu haben. Es haben doppelt so viele von ihrer Kranken­kasse (20,2 %, 49/243) wie von ihrem Hausarzt bzw. ihrer Hausärztin (10,3 %, 25/243) etwas über DiGA gehört. In der Subgruppe von DiGA-Kenner:innen mit DiGA-Diagnose (n=160) ergab sich das gleiche Bild.


Methodik
Wir führten unsere Befragung im Juni 2022 durch. Die Studienteilnehmer:innen rekrutierten wir stratifiziert nach Alter, Geschlecht, Bundesland und Haushaltsnettoeinkommen aus dem Panel des Marktforschungsunternehmens bilendi GmbH. Eingeschlossen haben wir nur Volljährige, die zum Zeitpunkt der Befragung wohnhaft in Deutschland waren und in die Teilnahme an der Studie eingewilligt haben. Ausgeschlossen haben wir Studienteilnehmende, die die Anweisungen nicht aufmerksam gelesen haben. Ausgewertet haben wir Daten von insgesamt 1 084 Personen (weiblich: 51,7 %, divers: 0,3 %; Durchschnittsalter: 46,7 Jahre). Im Vergleich zur deutschen Bevölkerung waren Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Studienpopulation unterrepräsentiert (n=123, 11,3 %).


Diskussion
Gesundheits-Apps sind Teil eines „Versorgungs-Alltags“ in Deutschland geworden. Die Verbraucher:innen/Patient:innen versorgen sich hierbei bisher primär selbst, ohne die Heilberufe miteinzubeziehen. Das liegt einerseits an den Verbraucher:innen/Patient:innen selbst, da es ihnen nicht selbstverständlich scheint, dass Gesundheitsberufe auch zu Gesundheits-Apps beraten. Und natürlich wäre es auch nicht sinnvoll, vor oder nach jedem Download einer Fitness- oder Entspannungs-App eine ärztliche Beratung aufzusuchen. Dennoch zeigen unsere Ergebnisse auf, dass es hier ein gewisses Beratungsdefizit und daher Verbesserungsbedarf gibt.


Nur wenige schätzen ihren festen Hausarzt bzw. Hausärztin als sehr kompetent darin ein, zu Gesundheits-Apps zu beraten. Ebenso berichten nur wenige, bereits ein sehr hilfreiches Gespräch zu Gesundheits-Apps mit einem oder einer Behandler:in geführt zu haben. Auch spielen (Haus-)Ärzt:innen bisher nur eine untergeordnete Rolle dabei, Patient:innen auf das Angebot der DiGA aufmerksam zu machen – obwohl die meisten, für die dieses Angebot infrage käme, sehr aufgeschlossen dafür sind. Ein erster Schritt wäre also, wenn Hausärzt:innen Gesundheits-Apps auch zu ihrem Versorgungs-Alltag werden lassen und einschlägige Patient:innen öfter hierauf proaktiv ansprechen. Einerseits, um sich analog zum Medikationsplan einen Überblick über den Gesundheits-App-Konsum zu verschaffen; andererseits, um hierzu zu beraten. Dies gilt insbesondere für DiGA, wo Patient:innen die Einbindung der Behandelnden überwiegend für sinnvoll halten. Auch der DiGA-Bericht 2023 des GKV-Spitzenverbandes regt die stärkere Einbettung von DiGA in die bestehende Versorgung an.


Mit dem Digital-Gesetz (DigiG), das Mitte Dezember 2023 vom Bundestag beschlossen wurde, steigt die Relevanz dieses Themas. Das DigiG erweitert den Kreis der DiGA zwar nicht um Präventions-Apps, wie es sich die Mehrheit der Befragten wünscht. ­DiGA werden jedoch dahingehend weiterentwickelt, dass auch Apps höherer Risikoklassen, die eine größere Einbindung der Behandelnden erfordern, ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen werden können. Ein weiterer Grund für die Heilberufe, sich stärker mit DiGA auseinanderzusetzen.

 

Autoren

Dr. Malte Schmieding, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Informatik
Kontakt: malte.schmieding(at)charite.de

Dr. Hendrik Napierala, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Allgemeinmedizin
Kontakt: hendrik.napierala(at)charite.de

Marvin Kopka, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Informatik und TU Berlin, Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft, Fb. Arbeitswissenschaft
Kontakt: marvin.kopka(at)tu-berlin.de

Lennart Scatturin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Informatik
Kontakt: lennart.scatturin(at)charite.de

Prof. Dr. Daniel Fürstenau, IT University of Copenhagen, Department of Business IT und Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Informatik
Kontakt: daniel.fuerstenau(at)charite.de

Prof. Dr. Dr. Felix Balzer, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Informatik
Kontakt: felix.balzer(at)charite.de