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Wie KI die Radiologie steuert

Die Jahrestagung der Nordamerikanischen Röntgengesellschaft in Chicago kannte mal wieder (fast) nur ein Thema: Künstliche Intelligenz (KI) und wie sie effektiv genutzt werden kann. Während in den vorvergangenen Jahren Algorithmen für die Bildanalyse und -verarbeitung im Fokus standen, konzentrierten sich die Diskussionen 2023 auf Large Language Models (LLM) und generative KI. Beide könnten die Radiologie revolutionieren.

ChatGPT, ein Chatbot mit Künstlicher Intelligenz, hat bereits in vielen Bereichen des Alltags Fuß gefasst. Nun könnte er auch die Radiologie erobern. Viele Vorträge beleuchteten die Möglichkeiten und Perspektiven.


Die geeignete Bildgebung finden

Ein Anwendungsbereich ist die Unterstützung von Radiolog:innen bei der Auswahl geeigneter bildgebender Untersuchungen. Dass die Empfehlungen mit ­denen des iGuide der European So­ciety of Radiology (ESR) vergleichbar sind, wiesen Shani Rosen, Leiterin des DataMED-Labors an der Fakultät für Krankenpflege der Universität Tel Aviv, und ihr Co-Autor Dr. Mor Saban, Leiter von DataMED, mit einer Studie nach. Ergebnis: Sie haben ChatGPT mit klinischen Daten über Patientensymptome aus unstrukturierten Texten aus Websites, Büchern, Artikeln und anderen öffentlich zugänglichen Quellen gefüttert. Dadurch erwirbt das Modell Kenntnisse über Grammatik, Syntax und Semantik und lernt, Wörter oder Sätze vorherzusagen, die wahrscheinlich als Nächstes erscheinen werden.


Die Autor:innen haben die Daten von 97 Patient:innen mit abdominalen Symptomen und anschließendem abdominalem CT gesammelt. Anhand der Patienteninformationen erstellte ChatGPT Empfehlungen für jeden Fall. Die Autor:innen haben diese Empfehlungen mit dem ESR iGuide verglichen und die Fälle analysiert, in denen es zu Unstimmigkeiten kam.


In den Fällen, in denen die Empfehlungen nicht übereinstimmten, waren die Formulierungen von ChatGPT manchmal vage. Danach wählte das Team 66 Fälle aus, in denen ChatGPT ein Brust-, Bauch- oder Becken-CT empfahl, und bat vier Fachärzt:innen, die Empfehlung zu bewerten. „Ich war überrascht, wie spezifisch das Tool in vielen Fällen sein kann und wie hoch die Genauigkeit ist: 87 Prozent der Fälle wurden als richtig eingestuft“, so Rosen. „Das ist unglaublich für ein Sprachtool, das nicht einmal speziell für medizinische Aufgaben entwickelt wurde.“


Bevor ChatGPT allerdings für den klinischen Einsatz infrage kommt, gelte es, verschiedene klinische, ethische und regulatorische Fragen zu klären, betonten die Autor:innen. Grundsätzlich sehen sie aber das Potenzial, Kliniker:innen bei der Auswahl geeigneter bildgebender Verfahren für ihre Patient:innen zu helfen. „Ich bin gespannt, was Sprachtools in den kommenden Jahren leisten können, sobald sie für den medizinischen Einsatz trainiert sind“, sagte Rosen, „und wie sie Kliniker bei ihren medizinischen Entscheidungen unterstützen können.“


Das Interesse von Patient:innen an ihren Befunden erhöhen

In den USA greifen laut Studien bis zu 59 Prozent der Patient:innen über Online-Portale auf ihre radiologischen Befunde zu. Laut Dr. Ryan Short, Assistenzprofessor an der Washington University School of Medicine in St. Louis, gebe es jedoch nur wenige Daten zu den Erfahrungen der Patient:innen mit den Befunden und die Interaktion in einer realen klinischen Umgebung. Das haben er und seine Mitarbeiter:innen geändert.


Basis ist eine selbst entwickelte Softwareplattform, die den Röntgenbefund in eine interaktive Webseite verwandelt. Die Algorithmen der Anwendung kommentieren den Text des Befunds mit anklickbaren Hyperlinks, die wiederum mit von Radiolog:innen geschriebenen patientenorientierten Inhalten verknüpft sind. „Dank moderner Webtechnologien können wir analysieren, wie die Patient:innen dieses Programm nutzen“, sagte Dr. Short. „In unserer Studie haben wir untersucht, wie Patient:innen mit den Inhalten von Befunden umgehen.“
Die Forscher:innen haben ihren Website-Service den Patient:innen von zehn Bildgebungszentren in und um Denver zur Verfügung gestellt und die Nutzung zwischen Mai 2021 und Mai 2022 analysiert. Dabei wurden die Anzahl der kommentierten Begriffe und Phrasen mit anklickbaren Links in jedem Befund, die Häufigkeit, mit der jeder Begriff angeklickt wurde, und die Klickraten für die Begriffe dokumentiert.


Während des Untersuchungszeitraums gab es gut 60 500 Befundaufrufe mit 70 kommentierten Begriffen pro Befund, insgesamt also mehr als 4,2 Millionen kommentierte Begriffe. Durchschnittlich haben die Patient:innen 6,3 Wörter pro Befund angeklickt, bei insgesamt 380 800 Gesamtklicks. Am häufigsten wurden Fachbegriffe wie Chondromalazie, Anterolisthesis, chondral und Gelenkerguss, klinische Befunde wie Hämangiom, Zyste und Pneumothorax sowie bildgebende Beobachtungen, etwa Läsion und Knötchenmasse, angeklickt.


„Die Patient:innen sind ziemlich schlau, wenn es darum geht, Begriffe und Ausdrücke in ihren Befunden zu identifizieren, die sich möglicherweise auf ihre Gesundheit auswirken“, fasst Dr. Short die Ergebnisse der Untersuchungen zusammen. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass die Patient:innen am meisten an der potenziellen Pathologie interessiert sind, über die berichtet wird, und weniger am anatomischen Bereich oder den technischen Details der Untersuchung.“ Er sieht darin einen weiteren Beweis dafür, dass die Patient:innen ihren radiologischen Bericht verstehen wollen.


Die Verständlichkeit von Befunden verbessern

Genau dabei kann KI helfen. Große Sprachmodelle können die Lesbarkeit von Radiologiebefunden verbessern, indem sie den medizinischen Fachjargon vereinfachen und unnötige Wörter eliminieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Dr. Ghulam Rasool und dem leitenden Radiologen Les Folio vom Moffitt Cancer Center in Tampa. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz ist es ihnen gelungen, die immer komplexeren Befunde für überweisende Ärzt:innen und Patient:innen leichter verständlich zu machen.


Die Forscher ließen GPT zunächst redundante Wörter und Informationen entfernen, die für die nachgeschaltete Diagnose, die Behandlungsplanung und die Patientenberichte irrelevant sind. Danach sollte der Algorithmus den Bericht in ein allgemein verständliches Englisch umwandeln. Im Ergebnis entstand ein Text in einladenderem und leichter zu lesendem, strukturiertem Format. So hat GPT beispielsweise einen Textblock mit 37 Wörtern und medizinischem Fachjargon auf zwei kurze, leicht verständliche Sätze reduziert. „Wir nutzten die bewährten Verfahren des Prompt-Engineerings für bereits trainierte KI-Modelle, um die Ausgabe großer Sprachmodelle zu optimieren. Das hat zu Berichten geführt, die weniger als die Hälfte der ursprünglichen Wörter enthielten und von den Überweiser:innen leichter zu verstehen waren“, so Dr. Rasool. „Wir haben zwar noch nicht untersucht, ob die Patient:innen prägnantere Berichte besser verstehen, aber wir glauben, dass weitere Studien und zusätzliche Hilfsmittel wie interaktive Multimedia-Berichte den Patient:innen helfen werden, radiologische Befundtexte zu verstehen“, ergänzt der Mediziner.


Obwohl die Umsetzung von prägnanteren und strukturierteren Radiologenbefunden in der Praxis mit erheblichen Herausforderungen verbunden ist, sind die Studieninitiatoren optimistisch, dass die neuen Forschungsergebnisse den Weg in die Zukunft weisen. Gerade der iterative Ansatz, der mit der kontinuierlichen Erfassung der Fachlichkeit von Berichten beginnt, sei der Schlüssel für einen prägnanten Bericht, der für zuweisende Ärzt:innen und Patient:innen gleichermaßen leicht verdaulich ist. Im nächsten Schritt wollen Dr. Ghulam Rasool und Les Folio im Rahmen einer Qualitätsmaßnahme anonym Stichproben aus den Befunden von Radiolog:innen nehmen und sich mit anderen Universitätskliniken austauschen, die diese Stichproben ebenfalls durchführen möchten.


Die schrittweise Revolution der KI
Die Vorträge und Diskussionen im McCormick Place arbeiteten eine breite Palette an möglichen und realen Einsatzszenarien von KI neben den bereits bekannten und fast etablierten heraus. Bedeutet das aber gleichzeitig, dass sie endlich auf dem Weg zu einer breiten klinischen Anwendung ist? Wohl eher nicht. Denn für eine Technologie, die einen revolutionären Einfluss auf die Medizin haben soll und teilweise als großes Heilsversprechen dargestellt wird, braucht sie bemerkenswert lange, um sich durchzusetzen. Es scheint also immer deutlicher zu werden, dass KI erst nach und nach Einzug in die klinische Routine hält. Dass sie Routine sein wird, steht aber angesichts der Bekenntnisse auf dem RSNA außer Frage.


Ein wesentlicher Treiber der Einführung und Etablierung neuer Technologien im Gesundheitssektor ist die Erstattung durch die Kostenträger. Eine aktuelle Analyse der KI-Zeitschrift des New England Journal of Medicine (NEJM AI) führt 16 medizinische KI-Verfahren auf, die in den USA unter CPT-Codes abrechenbar waren. 15 davon wurden seit 2021 geschaffen, was darauf hinweist, dass die Versicherungen die Zeichen der Zeit grundsätzlich erkannt haben. Allerdings wurden bei lediglich vier der 16 Codes mehr als 1 000 Anträge auf Kostenerstattung eingereicht. Das zeigt, dass die Ökonomie die Verbreitung von Innovationen ausbremsen kann – eine Erkenntnis, die auch andere Studien über wirtschaftliche Hindernisse für KI festgestellt haben.


Bei allen interessanten Neuigkeiten rund um die Künstliche Intelligenz gilt es, noch einige Hürden zu meistern, bevor die Technologie Radiolog:innen effektiv im Alltag unterstützen kann. Inwieweit das im laufenden Jahr bereits gelungen ist, lässt sich sicher auf dem diesjährigen RSNA nachvollziehen, der vom 1. bis zum 5. Dezember stattfindet.